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Windkraft: Der Odenwald braucht einen Plan B

Rede der ÜWG-Fraktion zur Vorstellung und Begründung des Gemeinsamen Antrags auf eine Sondersitzung des Kreistags am 12.12.2018

Anrede

Warum sitzen Sie heute hier, in einer Sondersitzung des Kreistages? Wo doch am Montag schon die nächste Sitzung ist? Weil es nicht akzeptabel ist, den Plan, der unsere Region in den nächsten Jahrzehnten grundlegend verändern soll, nicht auf die Tagesordnung zu nehmen. Weil es notwendig ist, vor einer entscheidenden SitzungStellung zu beziehen – und weil es dringend notwendig ist, dass wir dies sehrdeutlich tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die ÜWG-Fraktion hat diese Dringlichkeit nicht geschaffen, das waren andere.

Am ersten November, vier Tage nach der Landtagswahl, hat das RegierungspräsidiumSüdhessen den Vertretern der Städte und Kreise den nach der zweiten Offenlageüberarbeiteten Regionalplan Windkraft zur Beschlussfassung vorgelegt. Mit neuenFlächen, veränderten Flächen, auch Flächen, die wegfallen sollen.

Die Behandlung von zehntausenden Einwendungen – auch derjenigen, die Sie mit ihren Kommunalparlamenten abgegeben haben. Zusammengefasst in mehreren Tausend Beschlussempfehlungen, 13 A4-Ordner, doppelseitig eng bedruckt. Etwa 5 Gigabyte Daten.

Und das Präsidium der Regionalversammlung hat mit dem RP einen straffen Zeitplanvorgelegt: Nur dreieinhalb Wochen, dann sind die Fraktionsvoten zu Tausenden vonBeschlussempfehlungen abzugeben. Noch eine lange Ausschusssitzung zu ein paarDetailfragen, Massen-Abstimmung im Block, schnell durch den Haupt- undPlanungsauschuss und zwei Wochen später, noch bevor es eine neueRegierungskoalition gibt, Beschluss des Windkraftplanes in derRegionalversammlung. Das wäre dann diesen Freitag, am 14. Dezember.

Mit diesemBeschluss wäre der Odenwälder Windkraftplan Altpapier. Das Regierungspräsidiumhat sogar angekündigt, dass es sich schon nach der Beratung der aktuellenVorlage – also noch vor einem Beschluss der Regionalversammlung –  in Genehmigungsverfahren an den Plan gebundensieht.

In derRegionalversammlung Südhessen gibt eine Koalition von SPD und CDU den Ton an.In ihrem Koalitionsvertrag haben sich die beiden zum Ziel gesetzt, 2% der Fläche Südhessens als Windkraft-Vorranggebiete auszuweisen. Das ist ja bekanntlich auch das Ziel der schwarz-grünen Landesregierung, vertreten durchihre Statthalterin im Darmstädter Regierungspräsidium.

Und wenn dieLatte in einer dicht besiedelten Metropolregion so hoch gelegt wird, wissen wir auch, wer denn am Ende die Lasten für die ehrgeizigen Ziele der Städter tragen soll: Wir hier im Odenwald, aber auch der Spessart und andere Hinterhöfe der Region dürfen uns bald hundertfach über fernsehturmhohe Anlagen der Windindustrie freuen. Schauen Sie auf die Karten: Die Planer in Wiesbaden,Frankfurt und Darmstadt schieben die Anlagen der Windindustrie weit weg vonsich, in die von ihnen aus hintersten Ecken des Landes.

Der Regionalplan Windkraft behandelt uns und andere als Abstellkammern der Metropolregion. In anderen Kontexten nennt man das Neokolonialismus:  Die Strategie entwickelter Staaten, Lasten zuexternalisieren, sie in geographische Randgebiete abzuschieben, und dies ohnejede Kompensation, ohne irgendwelche Ausgleichsleistungen.

Das würden Sie gerne kommentieren? Dazu sind wir heute hier.

Unser Dank als ÜWG-Fraktion gilt all den Kollegen, die mit ihrer Unterschrift dieseSitzung herbeigeführt haben: Herr Dr. Weber, Herr Eichner und Herr Promny vonder FDP, Herr Krieger von der Linken, Herr Gerbig von der CDU, Herr Kunsteinvon der AfD und Herr Becker.  DieFraktionen von SPD und CDU haben uns ihre Unterstützung erklärt. Das zeigt, wiesehr uns das Thema über alle Parteigrenzen hinweg bewegt.

Es besteht keine Veranlassung dazu, die Ruhe zu bewahren, meine Damen und Herren. Den Bürgermeister des Odenwaldkreises gelang das nicht, sie haben einegeharrnischte Resolution gegen die Überbauung des Odenwalds mitWindkraftanlagen verfasst. Der Landrat hat sich öffentlich sehr deutlich gegenden Regionalplan geäußert. Ich habe gestern eine Petition der OdenwälderBürgerinitiativen gegen den Regionalplan Windkraft in die Hand bekommen, dieinnerhalb von zwei Wochen von rund 21.000 Menschen unterzeichnet wurde. Und wirsind mit diesem Aufschrei nicht allein. Überall in Südhessen rumort es.


Das deutlichste Zeichen dafür ist das Verhalten der beiden großen 2%-Parteien inder Regionalversammlung. Das sind die, die uns gerne ihre 2% rüberschieben wollen. Sie haben die Planunterlagen in der ersten Ausschusssitzung zurückgewiesen und die Beratung des vorgelegten Plans verweigert. Der Zeitplan ist geplatzt! Die FDP weist auf eine Ungereimtheit des Plans nach der anderen hin. Besonders erzürnt hat die CDU-Vertreter, dass der Taunuskamm wieder als Vorranggebiet auftaucht. Just da wurde nämlich vom RP erst kürzlich der Bau vonWindkraftanlagen wegen Trinkwassergefährdung untersagt. Und schon jetzt gibt es einen Änderungsantrag der SPD/CDU-Koalition, mit dem eben diese Fläche am Taunus  wieder herausgenommen werden soll.

Der Tonfallist ein ganz anderer geworden. Was dies für den Plan und das Verfahren bedeutet, ist noch offen. Es könnte mündliche Anhörungen vor Ort geben. Die seltsame Plankategorieder Vorranggebiete ohne Ausschlusswirkung ist in die Diskussion geraten. Die Ergebnisse abgewiesener Genehmigungsanträge sollen in die Flächenkulisse eingearbeitet werden. Am Freitag wird es nun zwar keinen Beschluss geben, aberes wird noch spannend. Die Dinge sind in Bewegung.


Wenn wir etwas für den Odenwald erreichen wollen, dann müssen wir jetzt unsere Ablehnung des Regionalplans Windkraft deutlich machen.Wir haben daher als Erstes eine Resolution des Kreistages an das Land Hessen und die Regionalversammlung Südhessen beantragt:

„Der Kreistag des Odenwaldkreises spricht sich klar gegen die geplante, großdimensionierte Ausweisung von Vorrangflächen für Windkraftanlagen im Odenwaldkreis aus. Es ist nicht hinnehmbar, dass unsere Kommunen eklatant überproportional belastet werden.“

Das ist dieKernaussage der Bürgermeister, und der sollten wir uns anschließen.

Zweitens sollten wir als Kreistag des Odenwaldkreises deutlich machen, was wir von unseren Vertretern in derRegionalversammlung erwarten. Wir erwarten, dass sie dort die Interessen desOdenwaldes vertreten und sich nicht den jeweiligen Partei- und Fraktionszwängenergeben. Um deutlich zu machen, was ihre Entsendekörperschaft, was der Odenwaldvon ihnen erwartet, sollten wir sie dazu anweisen, gegen den RegionalplanWindkraft zu stimmen.

Das ist ein Signal, das sich vor allem an die anderen 94 Mitglieder der Regionalversammlungrichtet. Es stärkt unseren Vertretern den Rücken in der Diskussion mit ihrenFraktionskollegen. Und weil die Abstimmung nun voraussichtlich doch nicht am Freitag stattfindet, muss das Datum aus dem Antragstext noch gestrichen werden.

Eine Anweisung, so höre ich, sei nicht gesetzeskonform. Nur: Das Hessische Landesplanungsgesetz enthält dazu gar keine Regelung.

Ich habebeim Regierungspräsidium nachgefragt, ob Sie als Kreistag mich als Mitglied derRegionalversammlung anweisen können – und was ich denn dagegen rechtlich vorbringen kann. Die Antwort der Geschäftsstelle der Regionalversammlung und der obersten Landesplanungsbehörde beim Wirtschaftsminister: Dagegen ist rechtlich nichts einzuwenden. Sie betrachten das als eine Angelegenheit der Entsendekörperschaft, also des Odenwaldkreises.

Dass eine Anweisung vermutlich strittig ist, hatten wir in unserer Antragsbegründungschon erwähnt. Hier geht es um eine nachdrückliche Aufforderung, die auch ein Signal in die Versammlung sendet. Und klarer als mit einer Weisung geht dies nicht.

Gleichwerden wir hören, mit dem Odenwälder Flächennutzungsplan hätten wir doch einen tragfähigen Kompromiss entwickelt. Das wollte ich auch mal glauben. Aber wer trägt denn diesen Kompromiss? Der Odenwälder Plan mit knapp 2 % wurde abgelehnt, jetzt kriegen wir das Doppelte! Und was haben wir mit diesem Kompromiss sonst erreicht? In der ersten Instanz vor Gericht gescheitert, nur die 1000 m Abstand zu Wohnbebauung hätten wir als hartes Kriterium behalten dürfen, wenn wir denn gewonnen hätten. Inzwischen sind die Anlagen nicht mehr 200 m hoch, sondern 240 oder 250 m. Und der nächste Schub, die 300 m Klasse, steht schon in den Startlöchern. Die 1000 m Abstandsind immer weniger wert. Und nachdem die Odenwälder jetzt sehen, welche Wirkung die neuen großen Anlagen von heute haben, bin ich sehr im Zweifel, ob sie die Hälfte von 300 bis 400 Anlagen für tragfähig halten.

Die Klage liegt nun, wie man hört, seit bald einem Jahr beim HessischenVerwaltungsgerichtshof. Es geschieht nichts, man wartet wohl auf ein Schreiben aus dem Regierungspräsidium Südhessen. Dem Vernehmen nach möchte das Gericht dessen Ausbleiben mit so etwas Unhöflichen wie einer Fristsetzung nicht begegnen. Mich beschleicht da die böse Ahnung, dass es Verfahrensbeteiligte gibt, die darauf setzen, dass sich die Sache ohne Arbeit durch Zeitablauf von selbst erledigt.

Und was haben wir erreicht, wenn die Odenwälder tatsächlich dann einmal vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof gewinnen? Gilt dann automatisch der Odenwälder Plan undder Regionalplan Windkraft verliert für den Odenwaldkreis seine Gültigkeit?Oder muss der Odenwälder Plan dann schlicht dem höherrangigen Regionalplanangepasst werden? Was kann getan werden, um dem Odenwälder Plan Geltung zuverschaffen, wenn sich das Regierungspräsidium in Genehmigungsverfahren nur anden Regionalplan hält?

Diese Fragen haben wir dem Kreisausschuss schon vor einigen Wochen gestellt.  Und da die Antwort noch auf sich warten lässt, hatte man sie wohl auch nicht in der Schublade liegen. Das ist auch in Ordnung so, hier gilt Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Schon jetzt aber ist klar: Es reicht nicht aus, vor Gericht eine Genehmigung des Odenwälder Windkraftplans zuerstreiten.

 Lassen Siemich Ihnen etwas über Wald-Michelbach erzählen. Die haben nun einen schönenneuen Windpark auf dem Stillfüssel und waren der Meinung, sie hätten ihren Teilerfüllt. Der Regionalplan sieht das anders, der sieht für Wald-Michelbach nocheinige weitere Vorrangflächen vor. Die Wald-Michelbacher haben nun in engerZusammenarbeit mit dem Regierungspräsidium einen eigenen kommunalen Flächennutzungsplan Windkraft aufgestellt.

Und er wurde sogar vom Regierungspräsidium Darmstadt in diesem Sommer genehmigt. Etwas enttäuscht dürften die Wald-Michelbacher aber darüber sein, dass ihr schöner neuer Flächennutzungsplan keine Spuren in der aktuellen Fassung des Regionalplans Windkraft hinterlassen hat. Die Vorrangflächen des RP sind immer noch da. Und das RP hat nun mitgeteilt, nach dem Beschluss über den Regionalplan Windkraft müsse Wald-Michelbach seinen Flächennutzungsplan an den Regionalplan anpassen. Nach dem bisherigen Zeitplan also ab nächsten Montag. Im Übrigen werde der Flächennutzungsplan der Wald-Michelbacher im Zuge von Genehmigungsverfahren keine Anwendung finden. Dort halte sich das RP an den Regionalplan.

Sehen Sie hier irgendwo einen Kompromiss? Und wir hier reden so, als sei ein genehmigter kommunaler Flächennutzungsplan für Windkraft so etwas wie der planerische Heilige Gral.

Klagen und Abwarten und Hoffen und Abwarten sind keine ausreichende Strategie, wenn man dem kommunalen Planungswillen praktisch Geltung verschaffen will.

Der Odenwald braucht einen Plan B in Sachen Windkraft!

Wir können hier nicht bloß wehklagen, wenn uns wieder einmal deutlich vor Augen geführt wird, dass wir hier die Ecke sind, in der man den Krempel abstellt, den man ausden Augen haben will. Wir müssen mehr tun.

Reichelsheimhat zum Beispiel den Artenschutz selbst in die Hand genommen und ihn eben nicht den von Projektierern und Anlagenbauern bezahlten Gutachtern überlassen. DieNatur dort hat sich schlagartig erholt. Man glaubt kaum, welche Vielfalt an seltenenTierarten es bei uns im Odenwald gibt. Es muss wohl nur mal jemand hingucken,der nicht unter dem Verdacht steht, er werde fürs weggucken bezahlt. Das dürfte anderswo ähnlich sein.

Oder denken Sie an Mossautal, die um ihr Trinkwasser kämpfen. Die Geologie des OdenwälderUntergrunds wird auch zwei Täler weiter der des Kahlbergs recht ähnlich sein. Hier liegen Punkte, die man gemeinsam angehen kann, genauso wie eine Normenkontrollklage. Wenn wir die Interessen unserer Bürgerinnen und Bürger undunsere Natur und Landschaft schützen wollen, dann müssen wir eine Schippe drauflegen.

 Unser dritter Antrag besagt daher erstens, dass der Odenwaldkreis Rechtsstreitigkeiten kreisangehöriger Kommunen gegen die Regionalplanung ideell und finanziell unterstützt.

Zweitens wollenwir ihn ergänzen um folgenden Passus: Darüber hinaus wird der Odenwaldkreis seine Kommunen fachlich, organisatorisch undfinanziell in ihren Bemühungen unterstützen, im Bereich der erneuerbaren Energien ihrer kommunalen Planungshoheit praktische Geltung zu verschaffen.

Eine Klagekann Jahre dauern. Wer die kommunale Planungshoheit verteidigen will, darf sich nicht darauf beschränken, deren Ergebnis abzuwarten.

Zum Schluss noch ein vierter Antrag:

Gestern erreichte mich eine Petition der rund 30 Odenwälder Bürgerinitiativen gegen den Regionalplan Windkraft, die innerhalb von zwei Wochen von fast 20.000 Menschen unterzeichnet wurde. Sie richtet sich wie unsere Resolution an die Regionalversammlung und fordert „Rettet die Schwarzstörche – Rettet den Naturpark Odenwald“. Wir beantragen

Der Kreistag des Odenwaldkreises schließt sich der Petition „Rettet die Schwarzstörche! Rettet den Naturpark Odenwald!“ der Odenwälder Bürgerinitiativen an.

Auch hier sollte der Odenwald mit einer gemeinsamen Stimme sprechen. Die Forderung der Petition ist auch unsere Forderung: Die Regionalversammlung Südhessen soll den zur Beschlussfassung stehenden Teilplan Erneuerbare Energien ablehnen. Mit einem solchen Beschluss würdigt der Kreistag des Odenwaldkreises auch das Engagement der Bürgerinitiativen in dieser für den Odenwald bedeutenden Angelegenheit.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.